Ein Team von Chirurgen während einer OP
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Niels C. Fleischhauer

Arbeitszeiten von Chirurgen: Wie lange ein Chirurg am Tag wirklich arbeitet

Was hat ein Chirurg, wenn er mit dem Aufzug im Krankenhaus stecken bleibt? Die Antwort lautet: Freizeit. Dieser etwas zugespitzte Witz steht sinnbildlich für die Arbeitsbedingungen und das Berufsethos in der Chirurgie. Doch wie anstrengend ist der chirurgische Arbeitsalltag wirklich? Wir werden es klären.

Lesen Sie hier alles Wichtige über die Arbeitszeiten in der Chirurgie. Erfahren Sie, wie lange ein Chirurg derzeit wirklich am Tag arbeitet. Und falls Sie überlegen, selbst eine chirurgische Weiterbildung zu beginnen: Wir geben Ihnen wertvolle Tipps, wie Sie herausfinden, ob und unter welchen Bedingungen die Chirurgie zu Ihnen passt.

Haken halten, Mund halten, durchhalten

Vielleicht ist Ihnen diese harsche Anapher auch schon einmal begegnet. Frische Weiterbildungsassistenten hören sie oftmals im ersten Ausbildungsjahr und werden mit ihr auf Linie gebracht. Doch der Druck kommt nicht nur vonseiten der Vorgesetzten. Auch die Gesellschaft hat hohe Erwartungen an eine vollwertige Patientenversorgung. Und ein fallzahlorientiertes Gesundheitssystem fördert unnötige operative Eingriffe. Dazwischen: Assistenzärzte – aber auch Fachärzte – der Chirurgie mit ihren Arbeitszeiten von 60 bis 80 Wochenstunden.

Wenn der Beruf des Mediziners eine Berufung ist, so fühlen sich Chirurgen besonders berufen. Anders ist es nicht zu erklären, wie viele Ärzte trotz widriger Umstände jährlich ihre Facharztprüfung in der Chirurgie ablegen. Man könnte also meinen: Das System funktioniert. Doch auf wessen Kosten? Und wie nachhaltig ist es, wenn Ärzte dafür auf einen Teil ihrer Rechte verzichten?

Die Chirurgie und das Arbeitsrecht

Grundsätzlich sieht das deutsche Arbeitszeitgesetz eine Höchstarbeitszeit von maximal 48 Stunden pro Woche vor. An einem einzigen Arbeitstag darf dabei nicht mehr als acht Stunden gearbeitet werden. Im Falle eines Ausgleichs an anderen Tagen kann die Stundenzahl pro Tag auf zehn ausgedehnt werden. Für Kliniken würde diese Begrenzung eine Menge an Übergaben bedeuten und einen Verlust der medizinischen Qualität bedeuten. Daher dürfen Tarifpartner aus dem Gesundheitswesen mit Arbeitnehmern gesonderte Vereinbarungen treffen.

Den gängigen Tarifwerken für Ärzte liegt eine Opt-out-Regelung bei. Laut Hartmannbund hat ihn eine Mehrheit von 62 Prozent unterzeichnet. Gibt man seine Zustimmung ab, so darf die Arbeitszeit auf bis zu 24 Stunden am Tag verlängert werden. Unter den Voraussetzungen, dass währenddessen überwiegend Bereitschaftsdienst anfällt und anschließend die gesetzliche Ruhepause von wenigstens elf Stunden eingehalten wird. Wir kennen dieses Prinzip als den berüchtigten “24-Stunden-Dienst”.

Sie und ich wissen, dass selbst die gesetzlichen Ausnahmen, welche im Gesundheitswesen gelten, häufig überstrapaziert werden. Die zuständigen Gewerbeaufsichtsämter versuchen, die Einhaltung des Arbeitszeitgesetzes zu kontrollieren. Allein es fehlt die personelle Ausstattung, um dem angemessen nachzukommen. Zudem werden viele Ärzte angehalten, ihre Arbeits- und Pausenzeiten schönzuschreiben. In der Folge laufen die Arbeitszeiten von Chirurgen zunehmend aus dem Ruder.

Durchschnittliche Arbeitszeiten in der Chirurgie

Doch wie lange arbeitet ein Chirurg nun am Tag genau? Der Berufsverband der Deutschen Chirurgie (BDC) veröffentlicht regelmäßig Zahlen zu den Arbeitszeiten von Chirurgen. Die Erhebung aus dem Jahre 2023 basiert auf etwa 2.300 Rückmeldungen. Mit 45 Prozent macht der Frauenanteil erstmals annähernd die Hälfte aus. Die Ergebnisse sind in jedem Fall besorgniserregend: Neben den Themen Bürokratie und Administration machen Ärzten in der Chirurgie vor allem Überstunden und lange Dienste zu schaffen. Fast jeder Kollege – es sind 96 Prozent – des Fachbereichs leistet regelmäßig Überstunden. Rund 35 Prozent sogar mehr als zehn pro Woche.

Bedenklich: 28 Prozent der Mediziner in er Chirurgie sind bereits aufgefordert worden, die zusätzlich geleisteten Stunden nicht aufzuschreiben. Die Dunkelziffer dürfte hier noch deutlich höher sein, weil mancher grundsätzlich keine Überstunden dokumentiert. Eine Aufforderung durch den Arbeitgeber ist dann gar nicht nötig.

Wenn Überstunden anfallen, so werden diese bei 43 Prozent der Ärzte nur anteilig oder gar nicht ausgeglichen. Dies steht in klarem Widerspruch zur Opt-out-Erklärung. Und als wäre das alles noch nicht genug: Zusätzlich zu den regulären Arbeitszeiten leisten Chirurgen noch unbezahlte Zusatzaufgaben wie die Teilnahme an Konferenzen, Fortbildungen oder Ausschüssen. Zahlen, welche der BDC erst gar nicht berücksichtigt.

Gravierende Folgen

Aufgrund der fordernden Arbeitszeiten und -bedingungen ist die Chirurgie mit großer emotionaler Belastung verbunden. Man macht in dieser wenig familienfreundlichen medizinischen Fachrichtung private Abstriche. Es ist schlichtweg nicht möglich, bei jedem Familienereignis anwesend zu sein. Infolgedessen sehen 60 Prozent der Mediziner ihre Partnerschaft durch die Chirurgie negativ beeinflusst. 40 Prozent erkennen nachteilige Entwicklungen in der Beziehung zu den eigenen Kindern. Die Chirurgie mit dem Familienleben zu vereinbaren ist zwar möglich; aber dies erfordert große Unterstützung durch den Partner.

Bei der Abwägung zwischen dem beruflichen Vorankommen einerseits und dem privaten Glück andererseits fällt zunehmend die Entscheidung zugunsten der Familie. Gemäß dem BDC können sich mittlerweile 57 (!) Prozent der Ärzte in der Chirurgie vorstellen, ihre berufliche Tätigkeit aufzugeben. Bei der vorangegangenen Erhebung im Jahre 2021 waren es “nur” etwa 51 Prozent. Die genannten Hauptgründe: die Arbeitsmenge und nicht umgesetzte Arbeitszeitregelungen. Es ist wenig verwunderlich, dass Chirurgen im Ärztemontor der Kassenärztlichen Bundesvereinigung wahrlich nicht zu denjenigen Fachärzten gehören, die am glücklichsten sind.

Besonders das Schichtdienstsystem wird häufig kritisiert und von fast allen Medizinern in der Chirurgie – es sind 94 Prozent – abgelehnt. Denn es ist nur schwer mit den Terminen und Verpflichtungen des Privatlebens vereinbar. Hinzu kommt: Eine neuere Studie deutet ein signifikantes Ausmaß an Alkohol- und Medikamentenmissbrauch bei Chirurgen an.

Alles in allem führen die mangelhaften Arbeitsbedingungen und langen Arbeitszeiten in der Chirurgie zu einer erheblichen Fluktuation in Krankenhäusern. Was die Belastung der verbleibenden Kollegen nochmals verstärkt. Es ist ein Teufelskreis entstanden, dessen Unterbrechung – anders, als von vorwiegend älteren männlichen Medizinern behauptet – nicht in der Verantwortung der jungen Weiterbildungsassistenten liegt. Um es ganz klar zu sagen: Die Missstände erwachsen aus systemischen Fehlanreizen, schlechter/toxischer Führung und dem Prinzip der Profitmaximierung einer privatisierten Medizin. Allesamt Aspekte, welche von Kliniken und “der Politik” anzugehen wären beziehungsweise hingenommen werden. Auch der BDC fordertein Umdenken in Geschäftsführer- und Chefarztebene”.

Eine neue Generation von Chirurgen

Der Anteil von Assistenzärzten und Fachärzten der Chirurgie, die in Teilzeit arbeiten, nimmt stetig zu. Er liegt bereits bei 16 Prozent. Unter den Frauen besetzt sogar jede dritte eine Teilzeit-Stelle. Und von allen befragten Chirurgen gab mehr als die Hälfte an, die Arbeitszeiten weiter reduzieren zu wollen. Die Hauptmotive sind dabei durchaus differenziert: Während Frauen zugunsten der Kinderbetreuung weniger arbeiten wollen, steht bei den Männern die Reduzierung der beruflichen Belastung im Vordergrund.

Obgleich die Arbeitsbedingungen für Ärzte in der Chirurgie zumeist als überlastend beschrieben werden, merke ich in meinen Gesprächen immer wieder: Die Bereitschaft, 45 bis 50 Wochenstunden zu leisten, ist grundsätzlich vorhanden; nur legen die jüngeren Ärzte eben mehr Wert auf eine Work-Life-Balance und die Vereinbarkeit mit dem Familienleben. Auch Ärzteverbände fordern gebetsmühlenartig kürzere Arbeitszeiten und Freizeitausgleich in der Chirurgie. Kliniken sind gut beraten, sich auf diese Generation einzustellen.

Neue Arbeitszeitmodelle und Weiterbildungsstruktur

Ich kenne unzählige Mediziner, welche auf die Überlastung mit einer Stundenreduktion reagieren. Statt 40 Wochenstunden stehen fortan 30 im Arbeitsvertrag. Die Hoffnung: inklusive der vorausschauend eingeplanten Überstunden bei nicht über 40 Wochenstunden zu landen. Diese Taktik mag bei den Arbeitszeiten in der Chirurgie noch aufgehen; indes kann sie das Fortkommen in der Facharztweiterbildung enorm verzögern. Denn leider werden viele Assistenzärzte in Teilzeit seltener zu bestimmten Operationen eingeteilt. So sind mir etwa aus der Gefäßchirurgie jede Menge Weiterbildungsassistenten bekannt, die ihren OP-Katalog aufgrund fehlender Aorta-Eingriffe nicht vervollständigen können.

Innovative Arbeitszeitmodelle in Krankenhäusern wie Teilzeitarbeit, Jobsharing oder flexible Arbeitszeiten werden zunehmend auch von Chirurgen eingefordert. Mit Erfolg. So entfallen etwa an der Klinik für Allgemeine Chirurgie des UKSH oder dem niedersächsischen Heidekreis-Klinikum während der Facharztweiterbildung die 24-Stunden-Dienste. Ergänzend werden die Rufe lauter, welche eine strukturierte Weiterbildung fordern, die nicht bloß auf dem Papier besteht.

Entscheidung für oder gegen die Chirurgie

Bei der Entscheidung, welchen Facharzt man machen wird, sind viele Aspekte abzuwägen. Und bezogen auf die Chirurgie geht es nicht nur darum, wie lange ein Arzt am Tag arbeitet. Denn dieses große Fachgebiet mit seinen spezialisierten Facharztrichtungen stellt eine ähnlich gute Weiterbildungsbasis wie die Innere Medizin dar. Es ist verständlich, dass sie zu den beliebtesten Facharztrichtungen zählt.

Ich weiß, dass insbesondere viele junge Kollegen zweifeln, ob sie dem Druck in der Chirurgie gewachsen sind. Zwar ist die Wahl der medizinischen Fachrichtung stets eine höchst individuelle Entscheidung; doch einige Fragen, die man sich selbst stellen kann, sind aus meiner Sicht richtungsweisend:

  • Ist Ihnen eine feste Tagesplanung wichtig?
  • Fühlen Sie sich unsicher bei Notfällen oder akuten Situationen?
  • Wünschen Sie sich besonders viel Zeit für Familie, Freunde oder Hobbys?
  • Bezeichnen Sie sich als handwerklich eher ungeschickt?
  • Sind Sie eher – wie ich zum Beispiel – “einsamer Wolf” statt “Teamplayer”?
  • Bereitet Ihnen die Aussicht auf nächtliche Arbeit Sorgen?

Falls Sie diese Fragen überwiegend mit Ja beantwortet haben, dürfte die Chirurgie nicht Ihr Fachgebiet sein. Dann ist wahrscheinlich eine Facharztrichtung mit weniger Stressbelastung besser geeignet. Stimmen Sie hingegen nur bei einem oder zwei Punkten zu, so würde die Sache schon anders aussehen. Womöglich wäre dann das konkrete Arbeitszeitmodell Ihr Türöffner in die Chirurgie.

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Über den Autor

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Niels C. Fleischhauer

Inhaber von Ärzteglück

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