Der Facharzttitel ist zweifelsohne ein entscheidender Meilenstein in der Ausbildung und Karriere von Medizinern. Angesichts der Tatsache, dass er die notwendige Voraussetzung für die Arbeit als Vertragsarzt darstellt, erscheint seine Bedeutung umso größer. Doch was ist, wenn man keine Facharztbezeichnung besitzt? Welche Arbeitsmöglichkeiten bleiben dann noch für Mediziner?
In diesem Experten-Beitrag erfahren Sie, ob man zwingend einen Facharzt machen muss und was der Facharztstandard ist. Dr. Sebastian Braun – Fachanwalt für Medizinrecht – weiß genau, welche rechtlichen Grenzen für Ärzte ohne abgeschlossene Facharztweiterbildung gelten. Weiters lernen Sie spannende Berufsfelder für Mediziner ohne Facharzt kennen.
Ein Facharzttitel als Voraussetzung
Laut Grundgesetz herrscht in Deutschland Berufsfreiheit. Für Mediziner bedeutet dies, dass die Approbation zur ärztlichen Berufsausübung berechtigt. Die Frage “Muss man einen Facharzt machen?” können wir deswegen zügig und klar verneinen. Jedoch ist die Berufsausübung ohne Facharztbezeichnung in gewissen Teilen eingeschränkt: Seit 1993 ist ein Facharzttitel zwingende Voraussetzung, um als Vertragsarzt arbeiten und mit den gesetzlichen Krankenkassen abrechnen zu dürfen. Ohne erfolgreich absolvierte Facharztprüfung ist das also nicht möglich.
Neben dem vertragsärztlichen System bestehen weitere punktuelle Ausnahmen von der Berufsfreiheit für Ärzte ohne Facharzttitel – begründet beispielsweise durch das Gendiagnostikgesetz. “Nach § 7 Abs. 1 GenDG darf beispielhaft eine prädikativ genetische Untersuchung nur durch einen Facharzt/Fachärztin der Humangenetik bzw. Arzt/Ärztin mit vergleichbarer Qualifikation durchgeführt werden”, erklärt Medizinrechtler Dr. Braun. “Derartige qualifizierte Arztvorbehalte sind jedoch selten und bedürfen stets einer gesonderten Rechtfertigung, da hiermit immer ein Eingriff in die allgemeine Berufsfreiheit nach Art. 12 GG verbunden ist.” Und unabhängig davon, ob eine Facharztbezeichnung notwendig ist oder nicht – in jedem Fall ist der Facharztstandard zu gewährleisten.
Was ist der Facharztstandard?
Unter dem Facharztstandard versteht man das Mindestniveau, welches jede ärztliche Behandlung hervorbringen sollte. Der für die Qualität anzulegende Gradmesser könne je nach Fachgebiet und Zeitpunkt der Behandlung unterschiedlich ausfallen, stellt Rechtsanwalt Dr. Braun klar. “Er unterliegt einem ständigen Wandel”, so wie sich das allgemein anerkannte und evidenzbasierte ärztliche Vorgehen im Laufe der Zeit ändert.
Der Facharztstandard gilt im Krankenhaus ungeachtet der Hierarchie oder eines Facharzttitels vom Assistenzarzt direkt beim Berufsstart bis hin zum Chefarzt. Bei Operationen von Weiterbildungsassistenten bedeutet dies im Regelfall, dass ein Facharzt die Aufsicht führt. “Haftungsrechtlich ist maßgeblich, was von einem gewissenhaften und sorgfältigen Arzt der betroffenen Fachrichtung nach den von ihm objektiv zu erwartenden medizinischen Kenntnissen und Fähigkeiten zu erwarten ist”, sagt Herr Dr. Braun. “Individuelle Minderkenntnisse bleiben unberücksichtigt, Spezialkenntnisse des Arztes wirken standarderhöhend”. Die Klinik wird einen Weiterbildungsassistenten also kaum mit Verweis auf dessen Unerfahrenheit allein lassen können. Zugleich haben Patienten einen Rechtsanspruch auf eine bessere ärztliche Behandlung, wenn ein entsprechender Facharzttitel oder eine Zusatzbezeichnung vorliegen.
Obwohl der Facharztstandard in jeder Situation die Sicherheit und Gesundheit des Patienten gewährleisten soll, darf in Ausnahmefällen von der üblichen Behandlungsweise abgewichen werden – etwa dann, wenn konservative, dem Standard entsprechende Heilmethoden ausgeschöpft oder nicht anwendbar sind. In dem Fall könne zum Beispiel auf eine noch wenig erprobte Therapie zurückgegriffen werden. Diese sei jedoch “nur durch vorherige Vereinbarung mit dem jeweiligen Patienten möglich”, grenzt Medizinrechtler Dr. Braun ein. Zudem sei “für deren Darstellung der Behandelnde darlegungs- und beweispflichtig”. Es klingt zunächst schwer vorstellbar, warum ein Patient freiwillig auf solch einen wichtigen Rechtsanspruch verzichten sollte; doch “der Gesetzgeber wollte damit vor allem die Möglichkeit der Etablierung neuer Behandlungsmethoden eröffnen”, fährt der Rechtsanwalt fort. Während der Weiterbildung eines Assistenzarztes im Krankenhaus werden derartige Ausnahmen des Facharztstandards indessen extrem selten auftreten.
Selbstbewusste Weiterbildungsassistenten
Im Berufsalltag eines Assistenzarztes ist die persönliche und fachliche Reife zumeist entscheidend. Sind beide Kriterien ausreichend erfüllt, ist auch der Facharztstandard gewährleistet. Wahrscheinlich kennen Sie aber auch genügend Situationen, in denen das nicht der Fall war. “Falls der behandelnde Arzt sich – warum auch immer – nicht dazu in der Lage sieht, eine bestimmte Behandlung fachlich übernehmen zu können, so ist er dazu angehalten, dies dem aufsichtführenden Arzt mitzuteilen. Ein aufsichtführender Arzt hat in gleicher Weise zu prüfen, anzulernen und zu überwachen, ob ein Berufsanfänger mit oder ohne Facharzttitel fachlich, aber auch persönlich befähigt ist, eine bestimmte Behandlung vorzunehmen”, warnt Herr Dr. Braun. Was ein Assistenzarzt darf und was nicht, kann somit individuell höchst unterschiedlich ausfallen.
Auch als Weiterbildungsassistent sollte man selbstkritisch hinterfragen, ob man in der Situation Herr der Lage ist. Das gilt umso mehr, da Assistenzärzte auch operieren dürfen. Und man sollte selbstbewusst genug sein, eine Behandlung notfalls abzulehnen. In manchen Situationen bleibt dazu nicht viel Zeit. Zur Verdeutlichung finden Sie hier ein paar beispielhafte Gerichtsurteile:
- Gemäß dem Oberlandesgericht (OLG) Köln handelte eine erfahrene Weiterbildungsassistentin der Anästhesie grob fahrlässig, als sie nach zwei vergeblichen Intubationsversuchen nicht den Oberarzt, sondern einen weiteren Assistenzarzt zur Unterstützung holte (OLG Köln, 27 U 77/88).
- Es war hinzunehmen, dass eine erfahrene Hebamme eine bevorstehende Geburt ohne Risikomerkmale gemeinsam mit einer unerfahrenen Assistenzärztin begleitete und Letztere erst nach Auftreten einer Schulterdystokie einen Facharzt herbeirief (OLG Stuttgart, 1 U 104/02).
- Die Durchführung einer laparoskopischen Operation – in diesem Fall durch einen Facharzt – entsprach dem Facharztstandard, obwohl währenddessen bei der Patientin eine intraabdominelle Gefäßverletzung auftrat (OLG Hamm, 26 U 75/23).
Rechtsfolgen
Befindet ein Gericht, dass ein Mediziner gegen den Facharztstandard verstoßen hat, so kann dies unterschiedlich schwere Konsequenzen haben. “Die rechtlichen Folgen sind bei einem Arzt mit Facharzttitel nahezu identisch wie bei einem Arzt ohne Facharzttitel, da beide an der Einhaltung des Facharztstandards gemessen werden”, erklärt Medizinrechtler Dr. Braun. Und “die rechtlichen Folgen erstrecken sich im Zweifel auf mehrere Rechtsgebiete: Neben dem zivilrechtlichen Haftungsrecht können auch berufsrechtliche und strafrechtliche Konsequenzen bei der Unterschreitung des Facharztstandards eine Rolle spielen.”
Haftungsrechtlich begehe man “mit der Unterschreitung des Facharztstandards in der Regel einen Behandlungsfehler”, so Rechtsanwalt Dr. Braun. “Führt der Behandlungsfehler zu einem haftungsrelevanten Schaden beim Patienten, so kann er gegenüber dem Behandelnden u.a. Schmerzensgeld- sowie Schadensersatzansprüche stellen.” Hierüber entscheidet dann ein Zivilgericht. Während des Arzthaftungsprozesses prüfe ein Sachverständiger der betreffenden medizinischen Fachrichtungen, “ob die Behandlung zum damaligen Behandlungszeitraum dem Standard entsprach und nicht, ob sie jetzt ggf. veraltet wäre.” Es kommt also auf eine Betrachtung “ex ante” an.
Auch berufsrechtlich droht bei Unterschreitung des Facharztstandards ein juristisches Nachspiel. “Der Maßnahmenkatalog der aufsichtführenden Ärztekammern reicht von einer bloßen Ermahnung bis hin zur Einleitung eines berufsrechtlichen Verfahrens mit Entscheidung durch das zuständige Berufsgericht”, verdeutlicht Herr Dr. Braun. In gravierenden Fällen drohe gar der Entzug der Approbation.
Das Strafrecht hat für Mediziner seine Tücken, “da ein Patient keine wirksame Einwilligung in eine vom medizinischen Standard abweichende Behandlung erteilen kann”. Darauf weist Medizinrechtler Dr. Braun hin. “Infolgedessen kann stets eine Körperverletzung und je nach Folge auch ein Tötungsdelikt in Betracht kommen. Sodann muss der Behandelnde mit der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens und schlimmstenfalls mit einer strafrechtlichen Verurteilung rechnen. Der Strafrahmen reicht dabei von einer Geldstrafe bis hin zur Freiheitsstrafe. Die möglichen Folgen können dabei kumulativ auftreten.”
Berufsperspektiven ohne Facharztbezeichnung
Die Frage, ob man eine Facharztausbildung machen muss, haben wir bereits eingangs dieses Artikels beantwortet. In dem Fall gelten lediglich ein paar Einschränkungen. Des Weiteren sehen wir, dass ein Facharzttitel Mediziner auch nicht davon entbindet, den Facharztstandard einzuhalten. Widmen wir uns nun den möglichen Perspektiven für Ärzte ohne Facharzttitel.
Auch wenn eine KV-Praxis nicht infrage kommt, ist eine Privatpraxis ohne Facharzt möglich. Wer sich als Arzt nicht selbstständig machen und keine Privatpraxis gründen will, kann sich – auch ohne vorhandene Weiterbildungsbefugnis – in einer Kassenpraxis anstellen lassen. Allerdings erfordert dies Mehraufwand für den Praxisinhaber, da er die Aufsicht über Ihr Schaffen zu übernehmen hat.
Sie können ohne Facharzt Funktionsoberarzt werden. Ihr Vorteil: Sie erhalten ein deutlich besseres Gehalt als die Assistenzärzte. Zudem sind Funktionsoberärzte in aller Regel sehr erfahrene Mediziner. Demzufolge sollte der Facharztstandard zumeist erfüllt sein, was Ihrem Arbeitgeber entgegenkommt.
Es bestehen weitere Möglichkeiten abseits der direkten Patientenversorgung – etwa die Arbeit als Medical Advisor oder Arzt bei der Krankenkasse. Eine Facharztbezeichnung ist hier fast nie erforderlich. Entscheidend ist Ihre Approbation. Lesen Sie dazu meinen Blog-Beitrag über die alternativen Berufsfelder für Ärzte.
Berater an Ihrer Seite
Auch ohne Facharzttitel stehen Ihnen vielfältige berufliche Optionen zur Verfügung. Wichtig ist stets, dass Sie den Facharztstandard einhalten und somit eine ausreichende Behandlungsqualität garantieren können. Sie sind unsicher, welche konkreten ärztlichen Tätigkeiten Sie in Ihrem Fall anbieten dürfen? Sie sind Assistenzarzt und haben Angst, dass es zu einem Rechtsstreit kommen könnte? Dann sollten Sie sich an Medizinrechtler wie Dr. Braun wenden. So werden Sie rechtlich immer auf der sicheren Seite sein.
Die Facharztweiterbildung und das permanent hohe Stressniveau eines Assistenzarztes besitzt für Sie keinen großen Stellenwert (mehr)? Womöglich suchen Sie neue beruflichen Perspektiven, weil Sie zum Beispiel die Nachtdienste als Arzt vermeiden möchten? Vielleicht überlegen Sie auch, den Weg in die Selbstständigkeit zu wagen – etwa mit einer Privatarztpraxis. In solchen oder ähnlichen Fällen nehmen Sie Kontakt mit Ärzteglück auf. Wir wollen, dass Sie Ihren Arztberuf lieben. Im Rahmen unseres Coachings für Ärzte finden Sie gemeinsam mit einer erfahrenen Kollegin genau das passende Berufsfeld. Außerdem steht unsere Gründungs-, Praxis- und Unternehmensberatung für Ärzte zur Verfügung. Hierbei begleitet Sie eine erfahrene Fachärztin und Gründerin von der Entwicklung einer Geschäftsidee bis zur Gründung Ihres Unternehmens und darüber hinaus.