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Niels C. Fleischhauer

Wann darf ein Assistenzarzt alleine operieren?

Wir alle haben Erinnerungen an unsere Fahrschulzeit – als wir uns das erste Mal hinters Lenkrad setzen durften, irgendwann eigenständig am Straßenverkehr teilnahmen und endlich unseren Führerschein erhielten. Ähnlich ist auch die Facharztweiterbildung aufgebaut: Je erfahrener ein Assistenzarzt ist, desto mehr Arbeiten darf er alleine übernehmen. Doch dabei gibt es einige erstaunliche Besonderheiten.

Nachfolgend finden Sie heraus, welcher Arzt alleine operieren darf und wann ein Assistenzarzt endlich an der Reihe ist. Der Medizinrechtler Dr. Sebastian Braun verrät Ihnen, welche Tätigkeiten Sie sofort ausüben dürfen und wo es etwas länger dauert. Zudem erfahren Sie, über welchen Weg Sie wesentlich schneller operative Erfahrung sammeln können.

Der Facharztstandard

Sie werden es selbst erlebt haben beziehungsweise beim Berufsstart als Assistenzarzt feststellen: “Trotz der praktischen Ausbildung während des Studiums verlangen die einzelnen Fachgebiete der Medizin besondere theoretische und praktische Kenntnisse, die ein Medizinstudium allein nicht abbilden kann”, beschreibt Medizinrechtler Dr. Braun die Ausgangslage direkt nach Beendigung des Studiums. “Infolgedessen ist davon auszugehen, dass ein Assistenzarzt in dem jeweils gewählten Fachgebiet bisher noch keine bzw. sehr wenige spezifische Kenntnisse erlangt hat.” Der Weg kann mitunter lang sein, bis ein Assistenzarzt alleine operieren darf.

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Während Weiterbildungsassistenten lernen sollen und sich schon per definitionem in einer “Ausbildung” beziehungsweise “Weiterbildung” befinden, sollen Kliniken stets den Facharztstandard gewährleisten. Dazu sind sie gesetzlich verpflichtet. Zwar ist dazu – anders als es die Bezeichnung vermuten lässt – kein Facharzt nötig; doch die Kenntnisse des behandelnden Arztes sollten denen eines Facharztes entsprechen; und eben jener Facharzt ist es, welcher alleine operieren darf.

Problematisch ist insbesondere, dass vor Gericht die Beweislast umgekehrt ist: “War ein Behandelnder für die von ihm vorgenommene Behandlung nicht befähigt, wird vermutet, dass die mangelnde Befähigung für den Eintritt der Verletzung des Lebens, des Körpers oder der Gesundheit ursächlich war.” So steht es im Gesetz. Die Seite der Behandler hat also im Streitfall – etwa bei möglichen Behandlungsfehlern – nachzuweisen, dass der Assistenzarzt ausreichend qualifiziert gewesen ist. Sie merken schon, dass hier ein großer Konfliktherd lauert: Schließlich können Sie erst im Rahmen Ihrer Facharztweiterbildung entsprechende Qualifikationen erwerben.

Ihr Arbeitgeber befürchtet teure Rechtsstreitigkeiten, sollte ein Patient zu Schaden kommen. Übrigens haften auch Ihre vorgesetzten Fachärzte, wenn Sie Ihnen Tätigkeiten übertragen, für die Sie nicht ausreichend qualifiziert sind. Jedes eigenverantwortliche Handeln von Assistenzärzten stellt also eine Gratwanderung dar: Einerseits haben Sie den berechtigten Anspruch darauf, während Ihrer Assistenzarztzeit praktisch weitergebildet zu werden; auf der anderen Seite darf das Patientenwohl nicht gefährdet werden.

Hinzu kommt, dass der Ausbildungsstand höchst individuell ausfallen kann, wie auch jedes Logbuch anders gefüllt wird. Deswegen konstatiert Herr Dr. Braun: “Die Übertragung von Tätigkeiten auf Assistenzärzte ist immer eine Einzelfallentscheidung. Der Fachaufsicht führende Arzt muss sich daher vergewissern, dass die delegierbare Aufgabe an sich grundsätzlich auf einen Assistenzarzt übertragbar ist und zusätzlich, ob der jeweilige Assistenzarzt auch persönlich in der Lage ist, die Aufgabe zu erfüllen.

Bedenken Sie unbedingt, dass auch ein Assistenzarzt nicht von jeglicher Haftung befreit ist. Für ihn gilt eine Remonstrationspflicht. Traue er sich eine Operation von Anfang bis Ende nicht zu, so habe er “dies dem Facharzt rechtzeitig mitzuteilen”, warnt Medizinrechtler Dr. Braun. “Andernfalls könnte er aufgrund eines Übernahmeverschuldens haftungsrechtlich belangt werden”. Sie und ich wissen aber, dass dies in der Praxis leider zu selten so umgesetzt wird. Zu groß ist die Angst vor der Kündigung oder fachlichen Nachteilen im Zuge der Weiterbildungszeit.

Ab wann darf ein Assistenzarzt alleine arbeiten?

Auch wenn Sie vielleicht noch keine Operation durchführen dürfen, gibt es einiges, was Assistenzärzte praktisch sofort übernehmen dürfen. Dazu gehören solche, welche keinen Facharztstandard erfordern und teilweise in den Bereich der Pflege fallen. Gemäß Dr. Braun darf ein Assistenzarzt bei folgenden Aufgaben ganz alleine arbeiten:

  • Anamnese
  • Anlegen und Wechseln von Verbänden
  • Aufklärungsgespräche
  • Auskultation
  • Blutentnahme
  • Dauerkatheterwechsel
  • Dokumentation
  • Elektrokardiogramm
  • Infusionen
  • Intravenöse Injektionen
  • Lumbalpunktionen
  • Messverfahren
  • Palpatorische Untersuchung
  • Sonografie
  • Subkutane und intramuskuläre Injektionen

Wann dürfen Assistenzärzte alleine operieren?

Grundsätzlich gilt, dass bei der Durchführung von Operationen stets die Eingriffsbereitschaft und -fähigkeit des aufsichtsführenden Facharztes gewährleistet sein muss”, stellt Medizinrechtler Dr. Braun klar. “Soweit der Assistenzarzt aufgrund seiner bereits erlangten theoretischen und praktischen Kenntnisse und Erfahrungen in der Lage ist, die Operation allein durchzuführen, ist ihm dies gestattet. Ein starrer Zeitpunkt, ab wann eine solche selbstständige operative Durchführung stattfinden darf, existiert nicht. Jedoch ist davon auszugehen, dass der Assistenzarzt in seiner Ausbildung bereits weit fortgeschritten sein sollte.” Ab wann ein Assistenzarzt alleine operieren darf, hänge demnach “vom individuellen theoretischen und praktischen Kenntnisstand ab.

Einige Praxisbeispiele und Gerichtsurteile veranschaulichen, wann Assistenzärzte alleine operieren dürfen:

  • Das Oberlandesgericht (OLG) Oldenburg entschied, dass ein Facharzt nicht anwesend zu sein braucht, wenn der Weiterbildungsassistent sich im fünften Ausbildungsjahr befindet (Aktenzeichen 5 U 14/93).
  • Das OLG Stuttgart hielt es für unkritisch, dass ein Assistenzarzt mit der Erfahrung von insgesamt 270 begleiteten Geburten selbstständig eine Geburt durchführt (Aktenzeichen 14 U 14/99). Im konkreten Fall lag das zu erwartende Geburtsgewicht unter 4 kg.
  • Das OLG Köln hielt eine Monitorüberwachung durch den Oberarzt für vertretbar, während eine Weiterbildungsassistentin im vierten Jahr eine Herzkatheteruntersuchung vornahm (Aktenzeichen 5 U 25/18) –  obwohl es zu einer Dissektion gekommen und die Patientin anschließend notoperiert worden war.

Je komplexer der Fall ist, desto eher negieren Gerichte die selbstständige Übernahme von Eingriffen durch Weiterbildungsassistenten. Herr Dr. Braun beschreibt einige Situationen, in welchen Assistenzärzte noch nicht alleine operieren dürfen:

  • Begleitung einer voraussichtlich risikoreichen Geburt
  • Durchführung komplizierter oder nicht-routinierter Operationen
  • Parallelnarkosen

Schneller selbstständig arbeiten

Übrigens kenne ich viele Assistenzärzte, die zwar alleine operieren dürfen, jedoch nicht in entsprechende OPs eingeteilt werden. Das betrifft vor allem die chirurgischen Fächer wie etwa die Gefäßchirurgie und hat unterschiedliche Gründe: So sind noch die Nachwehen der vielen verschobenen Eingriffe infolge der Corona-Pandemie zu spüren. “Hinzutritt die Bereitschaft des ausbildenden Facharztes, Operationen durch Assistenzärzte durchführen zu lassen”, wie Herr Dr. Braun anmerkt. “Assistenzärzte, die schneller eigenständig operieren möchten, sollten sich daher bestmöglich für diese Aufgabe qualifizieren und stets den ausbildenden Facharzt um die Möglichkeit von praktischen Übungen bitten.” Aus diesem Grund lautet einer der wichtigsten Tipps für Assistenzärzte: Ein guter Draht zu den Oberärzten zahlt sich aus. Sie entscheiden schließlich, wer operieren darf beziehungsweise für eine Operation eingeplant wird.

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Der Zeitpunkt, ab wann ein Assistenzarzt alleine arbeiten beziehungsweise operieren darf, fällt je nach Fachbereich unterschiedlich aus: “Typische Facharztrichtungen, die ein früheres eigenständiges Tätigwerden ermöglichen, sind z. B. der HNO-Bereich oder die Augenheilkunde; auch die Gynäkologie und Geburtshilfe sind hierunter zu zählen”, berichtet Medizinrechtler Dr. Braun. “Zukunftsgerichtet könnte hierunter auch der radiologische Fachbereich fallen, der bereits jetzt durch den Einsatz von KI wesentliche Umstrukturierungen der originären radiologischen Befundung erfährt. Bereiche wie die Neuro- oder Herzchirurgie führen aufgrund möglicher umfangreicherer und komplizierter Therapiemaßnahmen eher zu einem späteren selbstständigen Einsatz.” Womöglich sollten Sie also einen (zumindest vorübergehenden) Wechsel der Facharztausbildung in Betracht ziehen. Gerade im Fachgebiet der Chirurgie können Sie so womöglich wesentlich schneller operative Erfahrung sammeln.

Eine Assistenzarztstelle mit operativer Ausrichtung finden

Es gibt leider Arbeitgeber, bei denen Assistenzärzte bekanntermaßen deutlich später alleine operieren dürfen und auch das Betteln um Operationen nichts hilft. Dies ist übrigens nicht abhängig davon, ob Sie als Assistenzarzt an einer Uniklinik arbeiten. Im schlimmsten Fall können dadurch die Weiterbildung gefährdet und später ärztliche Karrieremöglichkeiten verbaut werden. Entsprechender Stress ist unter Assistenzärzten vorprogrammiert. Um all das zu vermeiden, sollten Sie handeln.

Sie sind Assistenzarzt und haben Angst, dass Ihre Weiterbildung leidet? Sie wollen möglichst schnell operative Erfahrung sammeln und endlich die Weiterbildung abschließen? Vielleicht verfügen Sie bereits über ausreichende Qualifikationen und kommen trotzdem nicht zum Zuge? Dann wenden Sie sich an Ärzteglück. Wir wollen, dass Sie Ihren Arztberuf lieben und wissen, wo ein Assistenzarzt schon früh alleine operieren darf.

Porträtfoto des Medizinrechtlers Dr. Sebastian Braun
Dr. Sebastian Braun ist Fachanwalt für Medizinrecht. Er arbeitet für LEX MEDICORUM (https://lex-medicorum.de/), eine Leipziger Kanzlei für Medizinrecht. Er ist spezialisiert auf Strafverteidigung im Arzt- und Medizinstrafrecht, Beratung im Vertrags- und privatärztlichen Vergütungsrecht sowie die Vertretung im Werberecht.

Über den Autor

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Niels C. Fleischhauer

Inhaber von Ärzteglück

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